Neonomicon von Alan Moore und Jacen Burrows

Ich möchte eine Rezension von „Neonomicon“ von Alan Moore schreiben, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann. Die gesamte Graphic Novel scheint eine Hommage oder „Verwurstung“ von Themen von H.P. Lovecraft zu sein und da ich seinen Kosmos erst vor kurzem betreten habe, frage ich mich, ob man dieses Werk nicht erst wirklich nachvollziehen und wertschätzen kann, wenn man mit Lovecrafts Werk sehr vertraut ist. Ich muss gestehen, dass ich bisher nicht soviel Neigung verspürt habe, das Buch mit Lovecrafts Kurzgeschichten, das ich ebenfalls in São Paulo erworben habe, weiter zu lesen. Ich bin nicht unbedingt ein Fan von Grusel- und Horrorgeschichten. Lustigerweise enthält Moores Comic selbst eine Kritik an Lovecraft, wo Agent Lamper äußert: „Er schreibt nicht sehr gut.“ Dennoch scheint Lovecraft eine Inspiration für viele Autoren und Künstler gewesen zu sein, wie seine Kollegin Agent Brears erwidert. Seine Relevanz liege weniger in seinen Geschichten sondern den Einfluss, den er auf andere damit hatte. Schon von daher werde ich seinem Werk wohl noch eine Chance geben. Wie dem auch sei, offensichtlich hatte Moore hauptsächlich dieses Werk geschrieben, um seine Steuern bezahlen zu können, wobei er in einem Interview versichert, dass er sich dennoch die größtmögliche Mühe gegeben hätte, ein gutes Werk abzuliefern.

Zurück zu „Neonomicon“: Beginnend wie eine Standard-Detektivgeschichte, bekommt der Comic schnell einen interessanten Twist als Agent Aldo Sax auf der Suche nach Zusammenhängen zwischen unterschiedlichen Mordtaten, die wohl Vorbilder in den 20er Jahren hatten, auf die vermeintliche Droge Aklo trifft, die sich allerdings als eine Art Gibberish-Sprache erweist, die verheerende Effekte hat. Auch er erliegt diesen und wird nach mehreren Tötungen in die Psychiatrie eingewiesen. Nun geht ein ganzes Team auf die Jagd, die Mordfälle zu lösen, allen voran Agent Brears, die sich erst vor kurzem von ihrer Sexabhängigkeit erholt hat und ihr farbiger Kollege Agent Lamper. Rasch sind sie auf der Spur des Aklo-Dealers, aber dann beginnen die Dinge merkwürdig und merkwürdiger zu werden. Der Dealer Carcosa verwandelt sich vor ihren Augen in eine Wandmalerei und als sie den eigenartigen Sexspielzeugen nachgehen, die sie in seiner Wohnung finden, landen sie in einer Sexorgie, die ein Fischmonster herbeirufen soll. Dabei werden ihre Identitäten aufgedeckt, Lamper erschossen und Brears sieben Tage lang vom Fischmonster zu sexuellen Handlungen gezwungen. Der Sexorgien-Ring will sie nach Ablauf dieser Zeit töten, doch das Monster führt Brears in die Freiheit, nachdem es ihren Urin gekostet hat sowie gelernt hat, sich mit ihr zu verständigen. Denn die Aklo-Sprache wird von diesem Biest ebenfalls gesprochen und Brears, die eine Kennerin der Welt von H.P. Lovecraft seit ihrer Collegezeit ist, erkennt, dass es dieselbe Sprache ist, die H.P. Lovecraft einst mit Kollegen erfunden hat und kann sich darum mit dem Ungeheuer unterhalten. Gerettet, aktiviert sie ein großes Einsatzteam, das den Sex-Ring überführen will. Einige setzen sich dabei zur Wehr und werden erschossen. Im Keller trifft dann das Team auf etliche Mitglieder, denen die Gedärme von dem Fischmonster herausgerissen wurden, das anscheinend Rache für den geplanten Mord an Brears nehmen will. Das Monster wird schließlich auch von den Agenten getötet.
Monate später besucht Brears erneut den ehemaligen Agenten Sax in der psychiatrischen Anstalt. Dort überrascht sie ihn mit ihren Aklo-Kenntnissen, aber auch damit dass sie erkannt hat, dass Lovecraft sich seine Geschichten nicht ausgedacht hat, sondern dass sie Zukunftsvisionen einer annahenden Apokalypse sind. Sie selbst ist schwanger von dem Fischmonster und scheint so etwas wie den neuen Messias auszutragen, der eine Schlüsselfigur in der Zukunft spielen wird.

Die Idee, dass Sprache eine bewusstseinserweiternde Droge sein könnte, gefällt mir außerordentlich. Ich fand, dass diese Eingebung große Möglichkeiten für eine Geschichte birgt. Ich war etwas enttäuscht, als sich das dann mehr oder minder auf eine Erfindung von H.P. Lovecraft reduziert bzw. sie laut Geschichte nicht einmal eine Kreation von ihm ist, sondern etwas, was er von den Fischmonstern aufgeschnappt hat. Wie sagte schon W.S. Burroughs? „Language is a virus from outer space“.

Ich habe ein wenig recherchiert, was Alan Moore selbst zu seinem Werk zu sagen hat. Er meinte, dass bei H.P. Lovecraft unterschwellig rassistische Bemerkungen zu finden sind, von denen er sich in höherem Alter distanzierte. Ebenso erwähnt er – was er im Comic dann Agent Brears als Lovecraft-Expertin erläutern lässt, dass Lovecraft ein gespanntes Verhältnis zur Sexualität zu haben schien. Er beschreibt lediglich in „blasphemischen Ritualen“ involviert gewesen zu sein, ohne weiter auszuführen, wobei es sich dabei gehandelt haben mag. Moore war der Ansicht, dass diese Elemente in seiner Geschichte – im Gegensatz zu ihrem historischen Vorbild – offen dargestellt werden sollten.

Das mag ein ehrenwerter Vorsatz gewesen sein, wenn sie dazu dienen sollen, die Person Lovecrafts kritisch mit allen Schattierungen zu beleuchten. Andererseits aber scheint mir die Figur Lovecraft in der Geschichte eher eine untergeordnete Rolle zu spielen und der Zusammenhang zwischen Fischmonster und Faschismus zum Beispiel scheint mir hier unklar zu sein. Ich denke, er wollte darauf hinaus, dass Agent Brears, die bezeichnenderweise blond und blauäugig ist, mit ihrem Baby eine neue „Herrenrasse“ heranzüchtet, aber er spricht das nicht deutlich aus, noch wird sonst wie weiter darauf eingegangen. Man bekommt nur mit, dass Agent Sax in der Psychiatrie sich ein Hakenkreuz auf die Stirn geritzt oder eintätowiert hat (erinnert natürlich an Charles Manson). Oder das der Sexorgien-Ring sich gegenüber Agent Lamper rassistisch verhält. Andererseits ist ein asiatisches Paar Teil des Rings und man fragt sich, warum sie keine ähnlichen Probleme haben. Ebenso scheint es mir nicht plausibel, wozu es von Relevanz für die Geschichte ist, dass Agent Brears eine Sexabhängige ist. Das Fischmonster hätte sie so oder so vergewaltigt. Mir ist auch nicht klar, warum sie in der Orgienszene halb blind sein muss, weil sie ihre Kontaktlinsen herausnimmt. Ich denke, es hätte keinen Unterschied gemacht, wenn sie klare Sicht gehabt hätte.

Wie ihr also erkennen könnt, gibt es einige Ungereimtheiten hier. Ich muss aber lobend erwähnen, dass die Zeichnungen von Jacen Burrows die Geschichte sehr gut transportieren und exzellent ausgeführt sind.
Alles in allem ist „Neonomicon“ eine unterhaltsame Lektüre, auch wenn ich glaube, dass es mit Bestimmtheit nicht das beste Werk von Alan Moore ist.

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